Tag des Liedes in Neu-Isenburg, FR-Online 13.11.2008

Chor "Soundsation" bewegt die Hugenottenhalle

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VON ACHIM RITZ

Der Chor will nicht stehenbleiben. Es soll vorangehen. Immer weiter nach vorn. Noch mehr Qualität, noch mehr Vielfalt und Professionalität, das wünschen sich die Sängerinnen und Sänger von "Soundsation" selbst. Da muss Chorleiter Matthias Becker gar keinen Druck ausüben. Die 40 Mitglieder des Neu-Isenburger Ensembles möchten ihr hohes Niveau bei den Swing-, Jazz- und Pop-Stücken weiter verbessern. Auf keinen Fall Stillstand. Alle sind in Bewegung.

Schon bei der Probe, montags im Haus der Vereine. Da laufen sie herum - im Oval. Sie schnarren, um den Schleim von den Stimmbändern zu bekommen, sie strecken die Arme hoch, sie schütteln sich, und sie klettern die Tonleiter rauf und runter. Sie lachen plötzlich oder rufen "juhu" und "jaja". Ankommen. Warmsingen und locker werden. Das klappt ohne Aufforderungen des Chorleiters.

Der Meister hinter dem Klavier, der bei der Probe in Socken rumläuft, sagt anfangs nicht viel. Die Rituale beim Warm Up kennen alle, und was der Chorleiter möchte, wissen auch alle. Seit 28 Jahren ist der promovierte Musikwissenschaftler Matthias Becker bei "Soundsation" tonangebend. Sechs Leute von damals gehören heute noch zu dem 1975 aus der Singschule entstandenen Chor.

Das Ensemble kennt Terz nur als Intervall auf dem Notenblatt. Alles ist harmonisch. Freundschaften sind entstanden, und die Gruppe strahlt Freude aus. "Beim Singen werden Glückshormone ausgeschüttet", sagt Sängerin Tatjana Leichsering. Sie lächelt.

Die Mitglieder der Gesangsgruppe sind im Alter zwischen 23 und 60 Jahren. Das Vertrauen untereinander wächst mit den Proben am Montag, den zwei Probenwochenenden im Jahr, dem Auftritt im Limburger Dom, beim Chorfestival in Italien oder bei der Dänemark-Tournee. Die Gruppe trägt jeden Einzelnen, auch wenn er oder sie mal daneben liegt. "Da war ein falscher Ton", ruft Matthias Becker mitten in einem Song, bricht ab und zeigt auf eine Frau in der ersten Reihe des Halbkreises.

"Das passiert schon mal", sagt Karin Scholl, die seit zehn Jahren Sopran singt. Sie liebt die Lockerheit und den Spaß bei den Proben. Immer wieder sprechen die Sänger von der Freude. Sie liegt in ihren Gesichtern und in ihren Stimmen. Sabine Jaeger mag die "tollen Musikstücke und den sehr guten Chorleiter". "Die gute Schulung und die tolle Gemeinschaft" begeistern Ulrich Schepers. "Matthias ist ein Crack, seine Arrangements sind genial", so klingt das Loblied von Bettina Helfer. "Der Chorleiter kann gut motivieren", sagt Barbara Huth über Becker.

Er kennt keinen Stillstand. Der Mann ist Künstler und Handwerker zugleich. Mit den Händen visualisiert er für den Chor die Noten und die Stimmung. Mal gibt er den Schmied, haut mit der Faust in die flache Hand, macht den Ton wie ein Eisen auf dem Amboss breit und hart, mal geht die Hand hin und her wie beim Malern, um die schwingende Dynamik sichtbar zu machen, mal knallt die rechte Hand wie ein Fallbeil auf die geöffnete linke, und dann sticht der Zeigefinger in die Handfläche. Auf dem Papier ist jede Note rund, diese aber spitz.

"Ihr müsst leiser singen, aber mit Spannung", weist er die Sängerinnen und Sänger bei Leonhard Cohens Lied "Hallelujah" an. Becker verlangt viel. Die Gruppe gibt es ihm gern, weil sie will, dass er fordert und fördert. Für ihn ist "Soundsation" einzigartig. Auch weil er keine anderen Chöre dirigiert. Wenn der Musikwissenschaftler nicht in Neu-Isenburg ist, schreibt er zu Hause in Ober-Mörlen Arrangements oder reist durch Europa, denn er sitzt bei internationalen Chor-Wettbewerben in der Jury. Becker kennt die Chorszene, und die Chorszene kennt ihn.

Von Erfolgen bei Wettbewerben können sie ein Lied singen. Beim Deutschen und Hessischen Chorwettbewerb wurden die Kulturpreisträger der Stadt Neu-Isenburg mehrmals Erste und Dritte. Von den Rankings wollen die Sänger im Moment aber nichts mehr hören. Vor den Wettbewerben konzentrierten sich Chöre zu sehr auf wenige Lieder. "Soundsation" setzt aber mehr auf Vielfalt. "Wir möchten unser Repertoire vergrößern", sagt Matthias Becker.